Am Sonntag, den 16. November 2025, wird Deutschland landesweit still stehen – nicht aus Trauer allein, sondern aus Verantwortung. In Berlin, Lindlar, Goslar und Ravensburg werden Menschen an Kriegen, Vertreibungen und Gewaltherrschaft erinnern, die bis heute Spuren hinterlassen. Doch dieses Jahr ist anders. Zum ersten Mal werden in der offiziellen Totengedenken-Rede Polizistinnen und Polizisten explizit genannt, die ihr Leben im Dienst für das Land verloren haben. Die neue Fassung, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Deutschen Bundestag halten wird, ist kein bloßes Update – sie ist eine Antwort auf die Gegenwart.
„Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung“, heißt es in der neuen Fassung. Kein abstraktes Pathos. Kein abgeklungenes Ritual. Das ist eine Aufforderung. Eine Mahnung. Und eine Erinnerung daran, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.
Danach folgt Steinmeiers Ansprache im Bundestag – eine der seltenen Gelegenheiten, wo die gesamte politische Klasse, von der AfD bis zur SPD, gemeinsam sitzt. Keine Reden, keine Debatten. Nur Zuhören. Und das ist es, was zählt. Denn hier, in diesem Raum, wird deutlich: Gedenken ist kein Akt der Vergangenheitsbewältigung, sondern der Gegenwartsverantwortung.
In Goslar werden die Gedenkstätten in den Stadtteilen mit Gebeten, Liedern und Schweigeminuten versehen. In Ravensburg und den umliegenden Dörfern wie Eschach, Taldorf und Schmalegg arbeiten die Stadtverwaltung und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge eng zusammen. Hier wird oft der letzte Überlebende eines Krieges gesprochen – ein Mann, der 1945 in Russland gefangen war, und jetzt seinen Enkel mitnimmt, damit er weiß, wofür sie stillstehen.
Die Neue Wache in Berlin, die seit 1931 als zentrales Mahnmal dient, wird ebenfalls am Nachmittag von hochrangigen Vertretern des Bundes und des Landes Berlin besucht. Hier steht das berühmte Bild „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz – eine Skulptur, die keine Worte braucht. Sie sagt alles.
Die Bundeswehr plant für 2026 eine digitale Plattform, auf der Angehörige die Namen der Gefallenen nach Ort, Einsatz und Jahr durchsuchen können. Der Volksbund wird mit Schulen Kooperationsprojekte starten, bei denen Jugendliche Briefe von Soldaten aus den 1940er Jahren lesen und eigene Texte verfassen. Es geht nicht darum, die Geschichte zu bewahren. Sondern sie zu leben.
Die Aufnahme von Polizistinnen und Polizisten in die offizielle Rede ist eine Reaktion auf die steigende Zahl von Todesfällen im Dienst, insbesondere durch Angriffe im Zusammenhang mit extremistischer Gewalt. Seit 2015 starben über 30 Polizeibeamte bei Einsätzen – mehr als in jedem anderen Jahrzehnt zuvor. Die neue Fassung des Totengedenkens anerkennt ihren mutigen Einsatz und verbindet ihre Opfer mit denen der Soldaten – beide schützen die Demokratie von innen und außen.
Das Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock ehrt spezifisch die über 2.000 Bundeswehrangehörigen, die seit 1955 im Dienst starben – meist im Auslandseinsatz. Die Neue Wache hingegen ist das zentrale nationale Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Tyrannie, von Soldaten bis Zivilisten, von NS-Opfern bis Opfern des russischen Angriffskrieges. Sie repräsentieren zwei Ebenen: eine institutionelle, eine gesamtgesellschaftliche.
Weil die Ursachen von Krieg und Hass nicht verschwunden sind – sie haben sich nur verändert. Der Angriffskrieg in der Ukraine, der Aufstieg rechter und islamistischer Extremisten in Deutschland, antisemitische Übergriffe und rassistische Gewalt zeigen: Der Frieden ist kein Endzustand, sondern eine tägliche Anstrengung. Der Volkstrauertag erinnert daran, dass Vergessen tödlich ist – und dass Erinnern eine Form des Widerstands ist.
Sie können an lokalen Gedenkveranstaltungen in Ihrer Stadt teilnehmen, Kränze niederlegen oder einfach eine Minute schweigen. Viele Gemeinden laden zur Teilnahme ein – ohne Anmeldung. Wer finanziell helfen möchte, kann an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge spenden: Jeder Euro unterstützt die Pflege von Gräbern im Ausland. Und: Reden Sie mit Ihren Kindern darüber. Die größte Erinnerung ist die, die weitergegeben wird.