Volkstrauertag 2025: Erstmals Polizisten im Totengedenken – Steinmeier hält neue Ansprache in Berlin

Volkstrauertag 2025: Erstmals Polizisten im Totengedenken – Steinmeier hält neue Ansprache in Berlin

Am Sonntag, den 16. November 2025, wird Deutschland landesweit still stehen – nicht aus Trauer allein, sondern aus Verantwortung. In Berlin, Lindlar, Goslar und Ravensburg werden Menschen an Kriegen, Vertreibungen und Gewaltherrschaft erinnern, die bis heute Spuren hinterlassen. Doch dieses Jahr ist anders. Zum ersten Mal werden in der offiziellen Totengedenken-Rede Polizistinnen und Polizisten explizit genannt, die ihr Leben im Dienst für das Land verloren haben. Die neue Fassung, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Deutschen Bundestag halten wird, ist kein bloßes Update – sie ist eine Antwort auf die Gegenwart.

Ein neues Totengedenken für eine neue Zeit

Die Rede, die 1952 von Bundespräsident Theodor Heuss eingeführt wurde, hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder gewandelt. 1999 nach den Balkankriegen, 2003 nach 9/11, 2015 nach der Fluchtbewegung. Doch 2025 ist ein Wendepunkt. Die neue Version spricht nicht nur von den Toten der beiden Weltkriege, sondern von den Opfern des „brutalen Machtstrebens“ – konkret: dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sie nennt Antisemitismus, Rassismus und Extremismus bei uns, nicht nur als historische Phänomene, sondern als lebendige Bedrohungen. Und sie benennt die Polizistinnen und Polizisten – Menschen, deren Tod in den letzten Jahren immer häufiger in den Schlagzeilen stand: von Berlin bis Köln, von München bis Dortmund.

„Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung“, heißt es in der neuen Fassung. Kein abstraktes Pathos. Kein abgeklungenes Ritual. Das ist eine Aufforderung. Eine Mahnung. Und eine Erinnerung daran, dass Frieden nicht selbstverständlich ist.

Die zentralen Zeremonien: Berlin als Herzstück

Um 10:30 Uhr am 16. November wird General Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, am Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock in Berlin ein Kranz niederlegen. Es ist der zentrale Ort für die Erinnerung an die mehr als 2.000 Soldatinnen und Soldaten, die seit 1955 im Dienst starben – nicht nur im Auslandseinsatz, sondern auch bei Unfällen, durch Krankheit, durch Suizid. Die Zeremonie ist schlicht, still, fast schmerzhaft persönlich. Keine Fanfare. Keine Politik. Nur die Musik von „Der gute Kamerad“, ein langes Schweigen, dann die Namen, die nicht mehr gerufen werden.

Danach folgt Steinmeiers Ansprache im Bundestag – eine der seltenen Gelegenheiten, wo die gesamte politische Klasse, von der AfD bis zur SPD, gemeinsam sitzt. Keine Reden, keine Debatten. Nur Zuhören. Und das ist es, was zählt. Denn hier, in diesem Raum, wird deutlich: Gedenken ist kein Akt der Vergangenheitsbewältigung, sondern der Gegenwartsverantwortung.

Lokale Erinnerungen – von Lindlar bis Ravensburg

Während in Berlin die höchsten Vertreter des Staates stehen, finden in Hunderten von Gemeinden kleinere, aber nicht weniger bedeutende Zeremonien statt. In Lindlar beginnt die Gedenkveranstaltung um 12:00 Uhr im „Alten Wasserwerk“. Der Musikverein Lindlar spielt „Ich hatt’ einen Kameraden“. Danach legen Bürgermeister, Veteranen und Angehörige Kränze am Lindlarer Ehrenfriedhof nieder. Einige der Gräber sind 80 Jahre alt. Andere erst drei.

In Goslar werden die Gedenkstätten in den Stadtteilen mit Gebeten, Liedern und Schweigeminuten versehen. In Ravensburg und den umliegenden Dörfern wie Eschach, Taldorf und Schmalegg arbeiten die Stadtverwaltung und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge eng zusammen. Hier wird oft der letzte Überlebende eines Krieges gesprochen – ein Mann, der 1945 in Russland gefangen war, und jetzt seinen Enkel mitnimmt, damit er weiß, wofür sie stillstehen.

Was bleibt, wenn die Kränze verblühen?

Die Worte von August Schuler, Vorsitzender des Volksbundes, sind prägnant: „Den Volkstrauertag begehen wir als Gedenktag für alle Toten von Krieg, Vertreibung und Gewaltherrschaft. Das ist heute notwendiger denn je.“ Und er hat recht. Denn während die Zeremonien am 16. November enden, arbeitet der Volksbund weiter – in der Ukraine, in Syrien, in Polen, in Russland. Sie pflegen 850.000 Gräber in 46 Ländern. Ohne staatliche Mittel, fast nur durch Spenden. Jeder Euro zählt. Jeder Name, der auf einem Stein steht, ist ein Mensch, der nicht vergessen wurde.

Die Neue Wache in Berlin, die seit 1931 als zentrales Mahnmal dient, wird ebenfalls am Nachmittag von hochrangigen Vertretern des Bundes und des Landes Berlin besucht. Hier steht das berühmte Bild „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz – eine Skulptur, die keine Worte braucht. Sie sagt alles.

Was kommt nach dem Volkstrauertag?

Nichts. Und doch alles. Die Erinnerung endet nicht mit der letzten Note des Liedes. Sie lebt weiter – in Schulen, wo Schüler die Reden von 1952 mit denen von 2025 vergleichen. In Familien, wo Großeltern erzählen, was sie gesehen haben. In den Gräbern, die wieder mit Blumen geschmückt werden, wenn die ersten Frühlingsblüher kommen.

Die Bundeswehr plant für 2026 eine digitale Plattform, auf der Angehörige die Namen der Gefallenen nach Ort, Einsatz und Jahr durchsuchen können. Der Volksbund wird mit Schulen Kooperationsprojekte starten, bei denen Jugendliche Briefe von Soldaten aus den 1940er Jahren lesen und eigene Texte verfassen. Es geht nicht darum, die Geschichte zu bewahren. Sondern sie zu leben.

Frequently Asked Questions

Warum werden erstmals Polizisten im Totengedenken erwähnt?

Die Aufnahme von Polizistinnen und Polizisten in die offizielle Rede ist eine Reaktion auf die steigende Zahl von Todesfällen im Dienst, insbesondere durch Angriffe im Zusammenhang mit extremistischer Gewalt. Seit 2015 starben über 30 Polizeibeamte bei Einsätzen – mehr als in jedem anderen Jahrzehnt zuvor. Die neue Fassung des Totengedenkens anerkennt ihren mutigen Einsatz und verbindet ihre Opfer mit denen der Soldaten – beide schützen die Demokratie von innen und außen.

Was ist der Unterschied zwischen dem Ehrenmal der Bundeswehr und der Neuen Wache?

Das Ehrenmal der Bundeswehr am Bendlerblock ehrt spezifisch die über 2.000 Bundeswehrangehörigen, die seit 1955 im Dienst starben – meist im Auslandseinsatz. Die Neue Wache hingegen ist das zentrale nationale Mahnmal für alle Opfer von Krieg und Tyrannie, von Soldaten bis Zivilisten, von NS-Opfern bis Opfern des russischen Angriffskrieges. Sie repräsentieren zwei Ebenen: eine institutionelle, eine gesamtgesellschaftliche.

Warum ist der Volkstrauertag heute wichtiger denn je?

Weil die Ursachen von Krieg und Hass nicht verschwunden sind – sie haben sich nur verändert. Der Angriffskrieg in der Ukraine, der Aufstieg rechter und islamistischer Extremisten in Deutschland, antisemitische Übergriffe und rassistische Gewalt zeigen: Der Frieden ist kein Endzustand, sondern eine tägliche Anstrengung. Der Volkstrauertag erinnert daran, dass Vergessen tödlich ist – und dass Erinnern eine Form des Widerstands ist.

Wie kann ich persönlich am Gedenken teilnehmen?

Sie können an lokalen Gedenkveranstaltungen in Ihrer Stadt teilnehmen, Kränze niederlegen oder einfach eine Minute schweigen. Viele Gemeinden laden zur Teilnahme ein – ohne Anmeldung. Wer finanziell helfen möchte, kann an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge spenden: Jeder Euro unterstützt die Pflege von Gräbern im Ausland. Und: Reden Sie mit Ihren Kindern darüber. Die größte Erinnerung ist die, die weitergegeben wird.